ZONTA Club Krefeld

Die Schattenpandemie

Wer in den Sozialen Medien schon einmal die Kommentare unter Beiträgen zu Frauen- oder Menschenrechten gelesen hat, dem ist mindestens eine dieser beiden Äußerungen schon begegnet: „Stellt euch nicht so an, in anderen Gegenden der Welt ist es viel schlimmer!“ und „Kümmert euch erst einmal um die Probleme hier bei uns!“ Man kann es nicht richtig machen, der Aktivismus ist immer am falschen Ort. Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, sich sowohl für die Menschenrechte im eigenen Land als auch in anderen Regionen der Welt einzusetzen. ZONTA International tut genau das: Die Organisation kämpft ebenso global wie regional für verbesserte Lebensbedingungen von Frauen und Mädchen.

Das Wort „Zonta“ stammt aus der Sprache der Lakota, einem Stamm amerikanischer Ureinwohner, und bedeutet „ehrlich, vertrauenswürdig“. Unter diesem wegweisenden Namen wurde 1919 der erste ZONTA Club in den Vereinigten Staaten gegründet, als ein Zusammenschluss berufstätiger Frauen. Heute ist ZONTA International UNO-Mitglied in beratender Funktion und setzt sich so auf höchster Ebene weltweit für die Frauenrechte ein. In Krefeld wurde der erste ZONTA Club 1982 gegründet, 25 Frauen aus verschiedenen Berufsfeldern engagieren sich darin für Frauenrechte auf der ganzen Welt. So war 2021 natürlich Afghanistan ein Thema, denn mit dem Einmarsch der Taliban zeichnete sich dort eine erschreckende Verschlechterung der Situation für die Frauen ab. Dr. Kirsten Echternach, Präsidentin des Krefelder Clubs, weiß: „Mädchenbildung findet auch unter den Taliban noch statt, doch soll zum Beispiel der Unterricht in Zukunft nach Geschlechtern getrennt stattfinden, sodass Lehrerinnen nur Schülerinnen unterrichten.“

Aber es sind eben nicht nur ferne Länder und Kulturen, in denen Frauen unter Gewalt leiden – auch in Deutschland sind die Zahlen schockierend. Clubmitglied Dr. Annegret Moennig-Henssen kennt die traurige Formel: „Jede dritte Frau in Deutschland ist einmal in ihrem Leben von körperlicher Gewalt betroffen, jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem derzeitigen oder einem ehemaligen Partner ermordet, und: Diese Zahlen haben sich in den vergangenen Jahren mit der Pandemie verdreifacht. Wir sprechen daher von einer Schattenpandemie der häuslichen Gewalt.“ Nachgerechnet bedeutet dies, dass mehr als zwölf Millionen Frauen in Deutschland bereits Gewalterfahrung machen mussten. Wahrscheinlich kennen wir alle mindestens eine Frau, die körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt hat. „Und das geht durch alle Gesellschaftsschichten“, betont Echternach, „Gewalt gegen Frauen passiert ungeachtet des Einkommens und der Bildung.“ Angesichts dieser Zahlen lässt sich nicht mehr leichtfertig davon sprechen, dass es sich dabei um ein vernachlässigbares privates Problem handele.

Auch mehrere städtische Gebäude, darunter etwa das Stadtpalais und das Theater, beteiligten sich an der Aktion ,,Orange the World“, um auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen.

Der Weg aus einer gewalttätigen Beziehung ist für die betroffenen Frauen ein beschwerlicher und die Flucht ins Frauenhaus stets nur eine Zwischenstation. Denn körperliche Übergriffe sind immer nur ein Teil eines gewaltvollen Systems, in dem sie gefangen sind. Auch emotionale Gewalt gehört dazu. Sie führt dazu, dass die Frau annimmt, sie sei selbst schuld an den Misshandlungen oder aber unfähig, ein Leben ohne den Partner zu führen. „Dieses Gefühl der Unselbständigkeit ist oft tief verwurzelt“, macht Moennig-Henssen deutlich. „Die Frauen werden auf sehr niederträchtige Weise kleingehalten.“ Oft verhindert der Partner die Pflege von Familienbeziehungen und Freundschaften, um die Frau sozial zu isolieren. Und schließlich wird auch wirtschaftliche Gewalt ausgeübt, um sie abhängig zu halten. Körperliche Gewalt ist dann nur der letzte Schritt einer fatalen Entwicklung, die mehrere Jahre andauern kann und das ganze Leben des Opfers betrifft.

Die Erkenntnis, Opfer von Gewalt zu sein, ist für viele von Scham begleitet. Um sich aktiv Hilfe zu suchen, muss diese Scham ebenso überwunden werden wie die verinnerlichten Glaubenssätze der Wertlosigkeit. „Wenn die Betroffenen ins Frauenhaus kommen, haben sie bereits eine große Leistung vollbracht“, erläutert Moennig-Henssen. „Meist sind sie nach Eskalationen schon mehrfach kurzfristig ausgebrochen und wieder in die Beziehung zurückgekehrt. Einige werden auch danach wieder ‚rückfällig‘, damit ist auf dem langen Weg der Loslösung zu rechnen.“ Die Entschuldigungen, die Frauen für ihre Peiniger finden, kennt die Psychotherapeutin aus ihrer Praxis: „Oft höre ich: ‚Mein Mann schlägt mich ja nur, wenn er getrunken hat‘. Darauf antworte ich: Minus mal Plus ergibt Minus. Ein Mann, der schlägt, ist ein Mann, der schlägt, Alkohol ändert die Gleichung nicht.“ Frauenhäuser stehen allen Opfern von häuslicher Gewalt in vielen Städten offen, Frauen und Kinder werden dort als Sofortmaßnahme aufgenommen. In manchen Fällen werden die Frauen oder Familien auch in Frauenhäuser anderer Städte verlegt, um die Sicherheit vor dem gewalttätigen Partner zu gewährleisten.

Das Krefelder Frauenhaus war wie alle dieser Einrichtungen in Deutschland bereits im vergangenen Jahr überbelastet, in der Pandemie hat sich die Situation jedoch überall verschärft. Immer mehr Frauen mussten fliehen, weil sich die Gegebenheiten durch den Mangel an Ausweichmöglichkeiten verschlimmert hatten. Doch sind die Folgen meist jahrelanger Gewalt und Abhängigkeit nicht mit ein paar Wochen im Frauenhaus zu beheben, auch wenn die Bewohnerinnen dort therapeutische Betreuung erhalten. Um einerseits Plätze im Frauenhaus freizumachen und andererseits die Frauen weiterhin zu begleiten, die bereit sind für mehr Selbständigkeit und neue Perspektiven, hat der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) zwei so genannte Second-Stage-Wohnungen in Krefeld angemietet. In die zweite Stufe werden Frauen entlassen, die von Therapeutinnen und Sozialarbeiterinnen als stabil eingeschätzt werden: Sie sind nicht mehr in Gefahr, zu ihrem gewalttätigen Partner zurückzukehren, sondern in der Lage, sich eine eigene Existenz aufzubauen. Trotzdem werden sie hier weiterhin ambulant therapeutisch betreut und von Sozialarbeiterinnen auf dem Weg in ein eigenständiges Leben begleitet. „Diese ambulante Betreuung wird übrigens auch für Frauen erbracht, die bei einer Freundin oder in einer eigenen Wohnung unterkommen“, versichert Moennig-Henssen.

Leider ist die Finanzierung der Wohnungen ebenso wie der begleitenden Sozialarbeitsleistungen nicht andauernd gesichert, trotz Förderungen von Staat und Kirchen. Schon zur Anschubfinanzierung des Projekts vor drei Jahren unterstützte der ZONTA Club Krefeld den SkF, jetzt sollen erneut Spendengelder den Schutz und die Hilfe für die Frauen in der zweiten Stufe sicherstellen. Damit die Krefelder und Krefelderinnen auf das Thema Gewalt gegen Frauen aufmerksam werden, hat Moennig-Henssen außerdem die Stadt und andere Gebäudeinhaber in Krefeld gebeten, sich an Orange the World zu beteiligen. Diese Aktion organisiert ZONTA International jährlich am 25. November, dem Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Die Teilnehmer lassen ihr Gebäude am Abend in Orange erleuchten. In Krefeld nimmt die Stadt unter anderem mit dem Rathaus, dem Theater und der Mediothek sowie der Ringbeleuchtung teil, die Stadtwerke und die Hochschule Niederrhein wirken ebenfalls mit. Die Teilnahme des Moltke-Gymnasiums freut Moennig-Henssen besonders: „Sowohl der Förderverein wie die Schülerinnen und Schüler sind bei der Aktion sehr engagiert, und das Gebäude ist natürlich imposant. Die Veranstaltung vor Ort und das Einschalten der orangenen Beleuchtung wird auch per Webcam übertragen und aufgezeichnet.“ Außerdem finden bis zum Ende der Aktion am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, in zahlreichen Städten Veranstaltungen der ZONTA Clubs statt.

Mit der Organisation in lokalen Einheiten, die unter dem Dach von ZONTA International gemeinsame Ziele verfolgen, sind die Clubfrauen das beste Beispiel dafür, wie Solidarität funktioniert. Nicht nur helfen die Krefelderinnen tatkräftig den weiblichen Gewaltopfern in der eigenen Stadt, ihre Arbeit trägt auch dazu bei, die Lebenssituationen von Frauen in anderen Regionen der Welt zu verbessern. Während die Second-Stage-Wohnungen regional im Fokus sind, geht der gemeinsame Kampf von ZONTA International für Mädchenbildung und gegen Menschenrechtsverletzungen, wie Zwangsverheiratungen, Genitalverstümmelung und Zwangsprostitution, weiter. Denn Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites gesellschaftliches Problem – aber durch gemeinsames Handeln lässt sich die Welt verändern.

SkF Fachberatungsstelle „Häusliche Gewalt“
Blumenstr. 17 – 19
47798 Krefeld
Tel.: 02151-1522057
E-Mail: gewaltschutz@skf-krefeld.de

www.zonta-krefeld.de
facebook.com/Zonta_Club_Krefeld

Spendenkonto: Verein der Freunde von Zonta int. Krefeld e.V.
IBAN: DE37 3205 0000 0061 0039 43
BIC: SPKRDE33XXX

Stichwort: Zonta says no

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